Rolfs Artikel

Das Braunkehlchen - Vogel des Jahres 2023

Braunkehlchen-Jan
Braunkehlchen (Foto: Jan Krawetzke)

 Der Vogel des Jahres 2023 wurde wie 2021 und 2022 von den Bürgern unseres Landes gewählt. Zur Auswahl standen der Neuntöter, Feldsperling, Trauerschnäpper, Teichhuhn sowie das Braunkehlchen, die der NABU und der Landesbund für Vogelschutz Bayern vorgeschlagen hatte. Mit großem Abstand wurde das Braunkehlchen gewählt. 1987 war es schon einmal Vogel des Jahres.

Auf blütenreichen, feuchten Wiesen war das Braunkehlchen früher häufig anzutreffen. Lebensraumzerstörung, die nach wie vor anhält, brachte das Kehlchen an den Rand des Aussterbens. Und es ist traurig, dass diese Vogelart schon wieder auf der Liste steht.

Das Braunkehlchen, das früher wegen seines Gesanges auch Wiesenschmätzer genannt wurde, ist ein schmucker Vogel. Mit einer Größe von 12 bis 14 cm und einem Gewicht von durchschnittlich 20 g ist es kleiner als ein Haussperling. Die orangegelbe bis rostbraune Färbung vom Kinn bis zur Brust gab dem Vogel seinen Namen. Die Kopfseiten sind schwarzbraun. Über dem Auge leuchtet vom Schnabel bis zum Nacken ein weißer Überaugenstreif.

Im Offenland, am liebsten in blütenreichen und feuchten Wiesen, Weiden, Brachflächen, Gräben und Raine mit Sitzwarten, wie Pfähle, trockene Vorjahresstauden oder einzelne Büsche, fühlt sich das Braunkehlchen am wohlsten. Hier findet es Halme für den Nestbau und vor allem Insekten für die Aufzucht der Jungen.

Anfang bis Mitte April treffen die Braunkehlchen aus dem Winterquartier bei uns ein.

Die Männchen, die als erste hier erscheinen, besetzen ihre Brutreviere und markieren sie mit fortwährendem Gesang. Sie sitzen dann auf den höchsten Plätzen, wie dürren Stauden, Pfählen oder Büschen, und tragen ihren Gesang vor. Dringt ein anderes Männchen in sein Brutrevier ein, so gibt es heftige Verfolgungsjagden, bis der Eindringling vertrieben ist.

Ist ein Weibchen gefunden und die Paarung vollzogen, baut sie am Boden, unter Grasbüscheln versteckt und immer gut geschützt vor Sicht von oben, das Nest.

In dieses werden dann 4 bis 6 grün-blaue Eier abgelegt. Nach 12 bis 14 Tagen Brutdauer schlüpfen die Jungen. Sie werden von den Vogeleltern versorgt, bis sie nach weiteren 12 bis 13 Tagen das Nest, noch flugunfähig, verlassen. Sie verstecken sich dann in der Nähe des Nestes. Dies ist eine Überlebensstrategie gegenüber Beutegreifern. Würden sie im Nest bleiben, könnten alle Opfer eines Beutegreifers werden. Durch dieses Verhalten werden nur Einzelne Opfer.

Doch gegenüber Kreiselmähern der Landwirte haben diese kleinen Küken keine Chance. So fallen alljährlich viele Bruten der Wiesenmahd zum Opfer.

Ist die Brutzeit im August beendet, bereiten sich die Vögel auf die lange Reise ins Winterquartier vor. Ende August, Anfang September beginnt der Wegzug.

Braunkehlchen sind Langstreckenzieher, d.h. sie überwintern südlich der Sahara in Zentralafrika. Da sie nachts ziehen und tagsüber Nahrung suchen, kann man sie in der Feldflur oder auf Brachflächen beobachten. Mitte bis Ende April kehren sie dann in ihre in Europa angestammten Brutgebiete zurück.

In unserer heimatlichen Natur kommt das Braunkehlchen nur noch mit wenigen Brutpaaren auf extensiv bewirtschafteten Wiesen im Vogelschutzgebiet Zeitzer Forst und in der Tagebaufolgelandschaft vor.

Die Intensivierung der Landwirtschaft, dass Trockenlegen von Feuchtgrünland, der Umbruch vieler Wiesen zu Acker sowie das zu frühe Mähen der Wiesen ließen das Braunkehlchen aus unserer Landschaft verschwinden.

Das hat die Europäische Union erkannt und eine Förderrichtlinie beschlossen, die eine Mahd nicht vor dem 15 Juni erlaubt. Erst danach dürfen die Bauern bzw. Landwirte ihre Wiesen mähen. Die dadurch entstehenden Ertragsausfälle werden von der EU gegenüber den Bauern ausgeglichen.

Aber auch die Inanspruchnahme des Lebensraumes für Gewerbegebiete, Straßen, Wohngebiete, Freizeit und Sportanlagen ließ das Braunkehlchen ebenfalls verschwinden. Rücksichtsloses Freizeitverhalten der Bürger, vor allem im Umland der Städte, stellen weitere Faktoren für den Rückgang dar. Keiner denkt darüber nach, dass Natur auch das Zuhause von anderen Mitgeschöpfen ist.

Auf die Ursachen dieser Bestandsrückgänge wies der Nabu schon 1987 mit der Wahl als Vogel des Jahres hin. Die erneute Wahl zeigt uns, dass es dem Braunkehlchen nicht besser geht, im Gegenteil, die Bestände nehmen weiterhin ab.

Das ist ein schlechtes Zeugnis für die Umwelt- und Naturschutzpolitik unseres Landes. Trotz vieler guter Ansätze, Biodiversitätsstrategien der EU und des Landes, schaffen es die Politiker*innen nicht, eine Kehrtwende diesbezüglich hinzubekommen.

Rolf Hausch – Beauftragter für Naturschutz beim Burgenlandkreis

Tröglitz, den 12.05.2023

Artenmannigfaltigkeit – auch in unserer heimatlichen Natur rückläufig

Grauammer (Foto: Jan Krawetzke)
Grauammernest

Seit 55 Jahren beobachte ich in Tröglitz und darüber hinaus die Umwelt, die Natur und deren Lebensgemeinschaften. Meine Aufzeichnungen, die ich in diesen Jahren gemacht habe, belegen eindeutig das fortschreitende Artensterben in unserer heimatlichen Natur.

Waren es ab den siebziger Jahren vorwiegend die Flurbereinigungsmaßnahmen zur Schaffung großer Agrarflächen für die Landwirtschaft, die zu direkten Eingriffen in die Landschaft und somit zu Lebensraumverlusten für Tier- und Pflanzenarten führten, so kommen heute noch Auswirkungen des Klimawandels, weitere Verdichtung des Verkehrs, Lebensraumentzug durch Versiegelung von Böden für Straßenbau, Gewerbegebiete, Tourismus sowie Windkraft- und Photovoltaikanlagen usw. hinzu.

In Anlehnung an die alten deutschen Meister muss man sagen: Über allen Feldern ist Ruh- leider eine Friedhofsruhe. Früher konnte man in der Feldflur um Tröglitz noch zahlreiche Vogelarten, wie Feldlerche, Ortolan, Steinschmätzer, Grauammer, Rebhuhn, Steinkauz, Kiebitz u. a. beobachten. Bis auf wenige Feldlerchen sind diese Vogelarten heute gänzlich verschwunden. Von anderen Tiergruppen, wie z. B. den Insekten, liegen nur wenige Daten vor, aber Zahlen aus anderen Gebieten belegen den totalen Verlust vieler Arten.

So zeigen wissenschaftlich fundierte Studien, dass seit 1800 die Siedlungsdichte von Vögeln in Deutschland um 80 % zurückgegangen ist. Seit 1970 werden in Deutschland s. g. „Rote Listen“ über gefährdete Arten geführt. Die Listen werden immer länger und die Bücher immer dicker, auch wenn sie heute elektronisch erfasst in Bites und Bytes gelistet sind. Nur dass das weniger erschreckend aussieht.

Wo sind die Vogelarten geblieben?

Der aus den Medien bekannte Prof. Dr. Peter Berthold veröffentlicht in seinem aktuellen Buch „Vögel füttern – aber richtig“ Zahlen über den Wildkräuter- und Insektenschwund in der Agrarlandschaft seit den 1950er Jahren.

Allein in den Weizenfeldern Deutschlands sind seitdem rund eine Million Tonnen an Sämereien von Wildkräutern verloren gegangen- ausgerottet durch Herbizide. Rechnet man die Wildsämereien aus anderen Kulturen noch hinzu, dann sind es mehrere Millionen Tonnen, die den Vögeln als Nahrungsquellen nicht zur Verfügung stehen. Dazu kommt noch der Verlust von Tonnen an tierischer Biomasse, wie Insekten, ausgerottet durch Pestizide. Nach einer Studie des Entomologischen Vereins Krefeld sind zwischen 1989 und 2014 an 80 Probestellen 80% der Biomasse an Fliegen, Falter, Bienen, Wespen, Käfer, Heuschrecken usw. weg. Und wer das nicht glaubt, dann sehen Sie sich beim nächsten Autoausflug Ihre Frontscheibe an! Da muss man heute nicht mehr putzen.

Ein erschreckendes Ergebnis.

Seit dem Einzug der industriellen Landwirtschaft und dem Einsatz von Großmaschinen Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre wurde die Feldflur gravierend umgestaltet. Die bis dahin kleinstrukturierte Landschaft mit unversiegelten Wegen, Gräben, Feldgehölzen, Feldhecken, Feuchtwiesen, Blühwiesen usw., die vielen Vögeln Nahrung und Brutplätze boten, wurde zugunsten großer, zusammenhängender Agrarflächen ausgeräumt und zu Acker umgebrochen. Monokulturen bestimmen heute das Landschaftsbild.  An die ökologischen Folgen wollte damals keiner denken, standen doch die Meldungen über höchste Ernteerträge im Vordergrund. Statt Ökologie und damit die Erhaltung unserer aller Lebensgrundlagen sowie Schonung von Ressourcen wurde die Landschaft rücksichtslos zerstört, das Grundwasser vergiftet und die Artenmannigfaltigkeit tot gespritzt. Damals wurde die Trinkwasserversorgung noch aus den Grundwasserleitern vor Ort abgesichert. Heute pumpen wir das Trinkwasser durch lange Rohrleitungen aus dem Mittelelbegebiet oder dem Harz hierher, weil die Landwirtschaft das Grundwasser mit Nitrat vergiftet hat.

Doch damit nicht genug. Durch die Beseitigung von Feldhecken und anderen Strukturen, die als Windbremse wirkten, wurde der wertvolle Mutterboden regelrecht vom Winde verweht bzw. vom Regen ausgewaschen, was zu kompletter Vernichtung des ertragreichen Bodens, zur Zerstörung der Bodenstruktur und Nährstoffverlusten im Boden führte.

Der Aufschrei kommt erst, wenn sich Schlammlawinen durch die Häuser wälzen oder eine Staubwolke auf der Autobahn zu Massenkollisionen führt.

Aber wo kein Mutterboden vorhanden ist, da sind auch keine Nährstoffe für die Pflanzen oder Mikroorganismen, die im Zusammenspiel auch Schadinsekten für die Kulturpflanzen bekämpfen.

Ernteausfälle werden statt mit organischem Dünger aus den Viehställen mit Kunstdünger kompensiert. Gegen Krankheiten oder „Schadinsektenbefall“ werden Chemikaliencocktails wie Pestizide, Herbizide, Fungizide, Molluskizide, Akarizide, Rodendizide ausgebracht. Diese angeblichen „Wundermittel“, werden mehrmals im Jahr auf die Kulturen gesprüht. Selbst wenn kein Schadinsektenbefall vorliegt, wird prophylaktisch gespritzt. Er könnte ja eintreten. Was für eine unnötige Verschwendung an Geldern und Belastung der Natur. Jeder kennt die Debatten um Roundup.

Die Folgen sind, wie wir heute wissen, dramatisch. Grundwasservergiftung und vor allem die Auswirkungen auf die Landschaft und im Besonderen auf die Biodiversität oder anders genannt, die biologische Artenmannigfaltigkeit, sind folgenschwer. Viele Tier- und Pflanzenarten sind verschwunden. Insbesondere Insekten, die nicht nur Vögeln als lebensnotwendige Nahrung, sondern vor allem als Bestäuber unserer Kulturpflanzen dienen, sind betroffen.

Ausgerechnet die Bauern, die mit Sesshaftwerdung vor ca. 10000 Jahren durch ihr Handeln in und mit der Natur vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensräume schufen und für unsere Ernährung permanent sorgten, trugen und tragen noch dazu bei, dass die Biodiversität in unserer heutigen Agrarlandschaft zurückgegangen bzw. erloschen ist. Totgespritzt!

Höchste Zeit für ein Umdenken!

Trotz wissenschaftlicher Studien, Appelle von Wissenschaftlern, Forschungsergebnisse namhafter Institute reagierte die Politik nur halbherzig. Stehen doch Heerscharen von Lobbyisten unterschiedlicher Interessenvertretungen hinter den Politikern, um ihren Willen diesen aufzuzwingen. Bestes Beispiel ist das gegenwärtige Einknicken des Bundeslandwirtschaftsministers bezüglich der Nutzung von Ökoflächen für den Getreideanbau. Der Artenvielfalt in unserer vergewaltigten Landschaft hilft es nicht, wenn plötzlich ein bayrischer Politiker Bäume umarmt und von Biodiversität spricht.

Die Biodiversitätsstrategie der EU, die 2020 auslief und den viel versprechenden Namen „Unsere Lebensversicherung, unser Naturkapital“ trug hatte bis 2020 das Ziel, den Rückgang der biologischen Vielfalt in Deutschland aufzuhalten und eine positive Entwicklung einzuleiten.

Das Ergebnis ist niederschmetternd, wie man draußen in der Natur beobachten kann. Sie zeigte bis jetzt keine Wirkung. Im Gegenteil, vielerorts gehen weiterhin Lebensräume verloren und das Artensterben setzt sich fort. Was für ein Versagen der Politik. Und es kommt angesichts des beschlossenen „Osterpakets“ bezüglich der Energieversorgung in Deutschland noch schlimmer. Der Artenschwund wird durch die Politik gesetzlich verordnet. Energiewende zu Lasten der Natur. Wollen wir das?

Hoffen wir, dass die neue Strategie., welche im Mai 2020 mit dem Namen „Mehr Raum für die Natur in unserem Leben“ von der EU vorgelegt wurde, mehr Wirkung zeigt. Sind doch die Inhalte, vor allem in Hinblick auf die Energiewende, in der Umsetzung sehr herausfordernd.

Ich bin da sehr skeptisch angesichts der neuen Entwicklung in der Agrarpolitik.

Nicht irgendwann, sondern jetzt ist sofortiges Handeln notwendig.

Deshalb ist es wichtig, die noch vorhandenen Strukturen in der Agrarlandschaft und darüber hinaus zu schützen, zu erhalten und noch besser zu vermehren. Nur so kann ein wirksamer Beitrag für eine Umkehr in eine artenreichere und gesündere Landschaft bzw. Natur geleistet werden.

Leider hat sich dieser Umkehrtrend noch nicht bei allen Bauern, Landwirten, Hauseigentümern oder Gemeinden durchgesetzt. Immer noch kann man beobachten, wie mehrmals im Jahr die Feldraine an Feldwegen oder öffentliche Grünflächen gemäht werden. Es könnten ja „Unkrautsämereien“, besser gesagt Wildkrautsämereien, in die Feldkultur gelangen. Oder aus falsch verstandenem Ordnungssinn werden immer wieder unter dem Motto „Ordnung schaffen“ wertvolle Lebensräume, von seltenen Pflanzen, ja sogar Niststätten geschützter Tiere, zerstört.

Dabei ist es auch eine Möglichkeit, Energie und somit Geld zu sparen, indem man einfach weniger mäht und die Randstreifen wachsen lässt. Die Insekten danken es. Zwei Schnitte im Sommer und Herbst sind völlig ausreichend.

Gerade die Feldraine mit ihren dazugehörigen Hecken sind die letzten übrig gebliebenen Lebensräume oder Rückzugsgebiete von verschiedenen Tier- und Pflanzenarten in der Feldflur. Auch unversiegelte Feldwege, die leider immer seltener werden, sind wertvolle Strukturen. Wo sollen unsere Schwalben noch Baumaterialien finden in unserer versiegelten urbanen Welt, wenn nicht noch Regenpfützen und Schlammlöcher auf Feldwegen stehen?

Je nach Aufwuchs beginnt Ende Mai, Anfang Juni der Kampf gegen das „grüne Meer“ von Rasen, Wiesen, Straßenrändern, Feldwegen, Gräben, Gewässerufern.

Heerscharen von Facility – Managern, Gemeindearbeitern, Landwirten und Hauseigentümern rücken dem lästigen Grünzeug teils mit Fachkenntnis, die meisten aber ohne ökologischen Sachverstand zu Leibe. Da wird gemäht, was das Zeug hält. Hauptsache Meter werden geschafft und, da man ja feste Verträge hat, ohne Rücksicht auf Verluste, wenn grade wieder einmal 30 Grad im Schatten angesagt sind und alles verbrennt. Die Arbeiter stehen in Staubwolken und spritzen mit ihren Freischneidern Steine in die Gegend. Die Rasenflächen sehen dementsprechend aus. Kurzgeschoren bis auf die Erde, bei Hitze verbrannt. Auch Rasen ist Leben, der entsprechend behandelt werden muss. Das lehrt uns jeder Gärtner.

Grünflächen im urbanen Bereich bedürfen der Pflege, das weiß auch ich. Die Frage ist: Muss unbedingt alles weg oder kann hier und da auch eine Fläche für Falter und Co stehen bleiben?

In der Feldflur werden für den öffentlichen Verkehr gesperrte Feldwege, die nur dem Landwirtschaftsverkehr vorbehalten sind, geschoren. Damit nicht genug. Selbst Baumlücken werden bis zur Feldkante ausgemäht. Der Neuntöter oder die Dorngrasmücke, die derartige Strukturen für ihre Nester nutzen und Jungen darin aufziehen, werden weggemäht. Ebenso die Brennnesseln, die den Raupen des Tagpfauenauges – einem Schmetterling als Nahrung dienen. Keine Überlebenschancen für Insekten und Vögel.

Daran sieht man, dass der Geräteführer entweder so angewiesen wurde, dies zu tun oder er handelt selbst mit ökologischem Unverstand. Weiterbildungskurse würden bei Letzterem Abhilfe schaffen.

Das sind nur einige Beispiele, die jedem von uns im täglichen Leben begegnen und zeigen, wo dringender Handlungsbedarf besteht.

Wir müssen uns entscheiden. Wollen wir Biodiversität und somit auch Insekten, die unsere Nahrung erzeugen, oder wollen wir in Zukunft, wie schon heute in Kalifornien und China praktiziert, die Bestäubung der Nutzpflanzen durch Menschenhand tun. Eine kostenintensive Herstellung von Nahrungsmitteln, die angesichts steigender Preise kaum zu bezahlen ist.

Können wir uns das in Zukunft noch leisten?

Erste positive Beispiele sind die urbanen Gärtner, die Liebhaber von Blühwiesen im Kleinen auf den Dächern und Balkonen. Aber auch Landwirte und Bauern, die erkannt haben wie schlecht es um unsere Natur steht, legen auf ihren Flächen selbstlos und ohne Zuschüsse Blühstreifen an. Lasst uns doch einfach faul sein und den Rasen nicht zum Golfrasen verkommen! Gönnen wir dem Rasenmäher und damit auch unserem Kopf mal ein bisschen Ruhe! Die Natur wird es uns danken und Vogelgezwitzscher und Bienensummen wird wieder erlebbar.

Rolf Hausch – Beauftragter für Naturschutz beim BLK

Tröglitz, den 07.08.2022

Totalmahd eines Feldraines (Foto:Rolf Hausch)

Artenschwund auch im Siedlungsbereich durch Schottergärten und Kunstrasen

Seit fast 70 Jahren lebe ich in Tröglitz. 55 Jahre davon beschäftige ich mich mit der heimischen Natur, ihren Lebensräumen, Lebewesen und dessen Veränderungen. Dabei habe ich viele Notizbücher und Karteiblätter vollgeschrieben. Heute zeigen mir die Auswertungen dieser Daten, wie artenarm unsere Landschaft und in diesem Fall die Dörfer geworden sind. Ist doch ein Großteil an Tier- und Pflanzenarten aus unserem nächsten Wohnumfeld verschwunden und somit auch ein wesentliches Stück Lebensqualität verloren gegangen.

Älteren Menschen fällt dieser Artenschwund der letzten Jahrzehnte auf. Fragen sie mich doch, wo sind die Vögel und Insekten geblieben. Die jüngere Generation hat den Artenschwund gar nicht bemerkt. Für sie ist die heutige Situation so in Ordnung, wie sie ist. Es wird nichts vermisst, kein Vogel, kein Schmetterling, kein Grashüpfer, keine Hummel. Wieso auch, sie haben sie ja nicht kennengelernt. Und was ich nicht kenne, vermisse ich auch nicht.

Dabei sah es früher ganz anders in unseren Dörfern aus. Ich bin in der Kleinsiedlung in Tröglitz aufgewachsen. Damals hatte jedes Grundstück seinen Nutzgarten. Diese waren entweder mit Holzzäunen oder Hecken eingefriedet. Hier standen hohe Obstbäume unterschiedlicher Sorten, Beerensträucher, es gab Beete für den Gemüseanbau, Kleintierhaltung erfolgte mit Kaninchen, Hühnern, Enten und mancher hatte sogar ein Schwein. Dies alles diente der Selbstversorgung, gab es doch in den Nachkriegsjahren wenig in den Geschäften zu kaufen.

Das Haus und Garten gab vielen Tierarten Unterschlupf und Nahrung. So hatte fast jedes Haus ein oder mehrere Spatzenpaare unter dem Dach. Da Hühnerstall und Heuboden im Wohnhaus integriert waren, bekam man des Nachts auch öfter Besuch von Mäusen, die dann nervig an der Scheuerleiste knabberten. An den Hausfassaden bauten Mehlschwalben ihre Nester und im Stall oder in der Waschküche brüteten die Rauchschwalben.

Im Garten, sofern Nistkästen vorhanden waren, sangen Garten- und Hausrotschwanz, Feldsperlinge, Trauerfliegenschnäpper, Kohl- und Blaumeisen sowie Stare. Einen oder mehrere Starkästen hatte fast jeder in seinem Garten. Jedes Frühjahr warteten alle auf die Heimkehr der Stare aus dem Süden, was dann beim Erscheinen dieser auch Tagesgespräch war.

Die hohen Bäume boten dem Buchfinken sowie Girlitzen und die Hecken den Amseln, den Bluthänflingen, den Klappergrasmücken und den Grünfinken ideale Brutmöglichkeiten. In größeren Gärten, die genügend Unterholz boten, sangen Rotkehlchen und wenn doch einmal eine Nachtigall des Nachts sang, war das ebenso Tagesgespräch.

Der Futtertisch für die Vogelschar war reich gedeckt. Insekten gab es in Hülle und Fülle und im Hühnerauslauf fanden die Spatzen reichlich Futter. Die Nutzgärten waren auch Ziergärten mit Blumen und Sträuchern, die viele Insekten anlockten und somit für die Vögel für reichlich Nahrung sorgten. Englischen Rasen gab es damals nicht. Wurde doch jeder Quadratmeter Grasland zur Heugewinnung für die Haustiere genutzt. Der erste Schnitt, wenn die Wetterlage es erlaubte, erfolgte Mitte bis Ende Mai und Ende August Anfang September noch ein Zweiter.

Durch diese Bewirtschaftung wurden blühreiche Wiesen geschaffen und erhalten, die wiederum Nahrung für Insekten und Vögel boten.

Ich kann mich noch daran erinnern, wenn wir auf der Wiese, wo einst die Kaufhalle in Tröglitz stand, barfuß Fußball gespielt haben, dass hunderte von Grashüpfern beim Laufen zur Seite spritzten. Oder wir fingen an Mai- und Juniabenden Maikäfer, die um die Straßenlaternen schwirrten und verfütterten sie an die Hühner. Alles Nahrung für die Vögel.

Heute ist es still geworden in den Gärten oder was der moderne Mensch unter Garten versteht. Nur wenig Vogelgezwitscher, kein Summen von Insekten und kein Grillenzirpen mehr. Schmetterlinge sind fast ganz verschwunden.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Hat sich doch die Nutzung der Gärten völlig geändert. Aus Nutzgärten wurden Erholungs- und Ziergärten. Statt einheimische Sträucher und Obstbäume zieren heute Zedern, Chinesischer Wacholder, Kirschlorbeer, Fichten aus fremden Ländern, Araukarien aus Südamerika die Gärten. Statt mit Hecken und Holzzäunen sind die Grundstücke mit Eisenzäunen, Kunststoffmauern, Gabionen, gefüllt mit Glas und Steinen, eingefriedet. Keine Blüten, keine Nahrung für Insekten und Vögel. Kein Brutplatz für Amsel, Bluthänfling, Klappergrasmücke.

In die Gärten werden auf Vlies und Folie Steinschüttungen unterschiedlichster Materialien und Farben gekippt. Anstelle artenreicher Blumenwiesen findet man heute toten Golf- und englischen Rasen. Die Krone des Ganzen setzen manche Leute mit Kunstrasen auf. Nur keine Arbeit und kein Aufwand mehr. Den Rasen mäht fortan der Rasenroboter. Da er keine Tiere wahrnimmt, metzelt er alles nieder, was vor sein Messer kommt. Molch, Zauneidechse, Blindschleiche, Ringelnatter, oder Kleintiere, die nicht schnell genug das Weite suchen, müssen ihr Leben lassen. Durchgehäckselt!

Kommt nach einiger Zeit doch einmal ein Pflänzlein im Schottergarten oder Rasen  auf, dann wird das nicht erwünschte „Unkraut“ gleich tot gespritzt, verbrannt oder mit Salz behandelt. Um dennoch einen Akzent in den Schottergarten zu setzen, werden Kübelpflanzen, Betonfiguren, Plastiktiere und Gummieidechsen aufgestellt. Geschmack- und sinnloser geht’s nicht.

Damit die makellose Hausfassade nicht mit Schwalbenkot oder Schwalbennestern verschandelt wird, werden rund ums Haus bunte Wimpel und CD`s zur Abschreckung aufgehängt. Die Dachfetten werden mit Spikes bestückt, damit sich kein Vogel mehr   draufsetzen kann. Er könnte ja einen Klecks hinterlassen.

Die einst als Glücksbringer bekannten Schwalben werden jetzt, obwohl wichtige Fliegen und Mückenvertilger, aus dem häuslichen Umfeld verbannt.

Den Namen „Zur Pension Schwalbennest“ benutzt man zur Vermarktung gern. Doch können nur menschliche Gäste hier Quartier beziehen. Schwalben werden mit Wimpelketten ferngehalten, wie ein Beispiel aus Mecklenburg zeigt.

Hoffen lassen positive Beispiele, wie das Restaurant „Peking“ in Grana zeigt. Hier heißen die Inhaber des Restaurants die Mehlschwalben willkommen trotz entstehender Verschmutzungen.

Um die Mehlschwalbenpopulation zu steigern, hat der Landschaftspflegeverein „Mittleres Elstertal“ 33 Schwalbenhäuser in verschiedenen Ortschaften aufgestellt. Bleibt zu hoffen, dass diese auch angenommen werden. Jeder einzelne Bürger kann etwas für die Schwalben tun, indem er handelsübliche Kunstnester an seinen Gebäuden oder für Rauchschwalben im Stall oder Schuppen anbringt.

Wie jeder selbst momentan und die letzten Jahre wahrnehmen kann, steigen die Temperaturen im Sommer bis ins Unerträgliche. Versiegelte Flächen, insbesondere in den Städten, heizen sich bis über 50 Grad und mehr auf. Statt dem mit Begrünungsmaßnahmen, wie Pflanzen von einheimischen Bäumen, Sträuchern oder Anlegen von Grünflächen entgegenzuwirken, kippen Leute sich noch Schotter in die Gärten. Was für ein Unsinn! Wie eigentlich jeder weiß, können nur Pflanzen durch Assimilation und Verdunstung die Temperaturen herunterkühlen. Jeder, der bei Hitze einen Waldspaziergang macht, merkt das. Angenehm kühle Luft. Außerdem gehen dem Boden wertvolle Funktionen wie Infiltration, Wasserspeicherung, Lebensraum für Mikroorganismen und somit auch Nahrungsraum für Tiere verloren.

Aus diesem und aus Gründen des immer weiter fortschreitenden Artenrückganges in den Städten und Dörfern haben viele Bundesländer das Anlegen von Schottergärten verboten. In Sachsen -Anhalt hat man das Problem ebenfalls erkannt und dementsprechend die Bauordnung geändert.

Seit dem 1.März 2021 ist die Neuanlage eines Schottergartens laut Bauordnung verboten.Wer Schottergärten anlegt, muss mit hohen Geldstrafen rechnen und diese rückbauen und begrünen.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Durchsetzung der Bauordnung durch die zuständigen Ämter auch erfolgen wird.

Rolf Hausch – Beauftragter für Naturschutz beim BLK

Tröglitz, den 04.07.2022

Hier ein typischer und verbotener Schottergarten in Nebra (2023)
Mähroboter zur Herstellung eines "Schicken" englischen Rasens!

„Alles was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand“

Charles Darwin

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